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Schlagwort: Moskau

Russische Bürokratie

Bürokratie
Vielleicht sollte ich mir noch eine weitere Brieftasche holen für die ganzen Dokumente, die ich immer mitschleppen muss. Und einige kommen ja auch noch dazu.

„Und nicht vergessen, dass ihr euch innerhalb von sieben Tagen hier registrieren müsst“, ermahnte die Frau vom Migrationsbüro der HSE uns internationale Studierende zum gefühlt Hundertsten Mal. Bei der Überschreitung drohen uns empfindliche Geldstrafen und wir könnten ohne aktuellen Registration Slip nicht unser Visum verlängern. Zumindest letzteres bleibt uns deutschen Studierenden allerdings erspart, da wir aufgrund eines Abkommens der Schröder-Regierung gleich ein Multi-Entry-Visum für unseren gesamten Aufenthalt bekommen (wie ich das beantragt habe, werde ich hier mal auslassen). Doch zum Bürgeramt muss ich trotzdem.

So betrete ich in dichten Schneegestöber mit meiner Wohnungsinhaberin und ihren zwei kleinen Kindern das Bürgeramt, das sich nur wenige Minuten Fußweg entfernt befindet. Мой Документы steht über dem Gebäude. Innen drin ist alles modern und hell gestaltet, von der Wand lächelt uns ein Porträt des Moskauer Bürgermeisters Sergei Sobjanin an. Mitarbeiter in Uniformen, die eher an Kellner statt an Beamte erinnern, begrüßen uns freundlich und statt wie in Berlin wochenlang zu warten, bekommen wir gleich einen Termin. Und wenn wir hier mehr als 15 Minuten warten müssen, dürfen wir uns von der schicken Kaffeebar sogar einen Gratis-Kaffee holen. Doch dazu sollte es nicht kommen, denn jetzt schlägt die graue Bürokratie hinter der bunten Kulisse zu.

Wegen einem Schreibfehler alles nochmal ausfüllen

Zunächst heißt das Formulare ausfüllen. Viele Bürgerdienste sind in Russland inzwischen digitalisiert und man bräuchte eigentlich noch nicht mal ins Amt zu gehen. Nicht jedoch die Wohnsitzregistrierung. Meine Vermieterin hatte schon im Vorfeld alle Formular sorgfältig ausgefüllt – doch das war umsonst, denn seit Anfang diesen Jahres gibt es ein neues Formular. Und ich kann mich vorerst auch nur für 90 Tage anmelden. Also genau die Tage zählen und alles schnell noch einmal ausfüllen. Und da ist er schon der erste Schreibfehler – naja hoffentlich wird er übersehen.

Kurz darauf sitzen wir schon einer Sachbearbeiterin gegenüber, die irgendwie das Stereotyp einer seelenlosen Bürokratin zu erfüllen scheint. „Also wenn Sie nicht wissen, wo die Seriennummer des Passes steht, müssen Sie zum Migrationsamt gehen“, sagt sie mürrisch und betrachtet lange meinen Reisepass um ihn anschließend an eine Kollegin weiterzureichen. Und natürlich dürfen wir das Formular wegen dem einen Schreibfehler noch einmal ausfüllen – zum Glück aber nur die eine Seite. Aber dann habe ich endlich die Registrierung in der Hand doch die Bürokratie nimmt damit kein Ende.

Ein Kommilitone hat sich zu dem Übersichtsbild des International Office
seine eigenen Gedanken gemacht.

Ohne Chipkarte kommt man nicht ins Unigebäude

Weiter geht sie an der Uni. Die Higher School of Economics braucht Kopien von sämtlichen meiner Dokumente (Reisepass, Visa, Krankenversicherung, Migrationskarte, Registration Slip und Impfnachweis), erst dann bekomme ich meinen Studierendenausweis. Es ist schon ein feierlicher Moment den zu bekommen und sich in das Immatrikulationsbuch einzutragen. „Welcome at HSE“, sagt die Frau vom International Office und drückt mir das kleine blaue edel gestaltete Booklet in die Hand, das mich ein wenig an ein Parteibuch erinnert. Leider bringt mir dieses Студенческий Билет erst einmal wenig. Um die Uni-Gebäude betreten zu können, brauche ich eine Chipkarte. Denn anders als in Deutschland sind die Unigebäude in Russland nicht öffentlich zugänglich und man muss durch Drehkreuze gehen, um das Gebäude zu betreten. In meinen ersten Unitagen bedeutete das immer für mich, dass ich dem Sicherheitsmann (oder -frau) mit meinen paar Worten russisch erklären musste, warum ich in dieses Gebäude muss. Und er musste dann telefonieren und ach das nervte alles.

Doch nun habe ich nur noch eine letzte Hürde zu überqueren und die sitzt in einem muffigen Raum mit der Aufschrift HSE University Access Control Office. „Вещи на стул!“, sagt der Sicherheitsbeauftragte scharf und deutet auf einen Stuhl links. Ich habe das Gefühl, das der Mensch, der hier arbeitet auch hier wohnt: Im Hintergrund steht ein riesiger Kühlschrank auf dem Magneten von gefühlt all den Urlaubsreisen seines Lebens bappen. Daneben ein riesiger Holzschrank mit Akten und Nippes , sowie eine Mikrowelle und eine Kaffeemaschine. Irgendwie wirkt es sehr deutsch, doch hier wird nur russisch gesprochen. Immerhin ist das Schild das einen deutlich darauf hinweist nicht den hinteren Bereich des Raumes zu betreten auf Englisch. Der Mann sieht sich meinen Pass und mein Студенческий Билет an, fragt mich nach meiner Adresse, Telefonnummer und auch wie lange ich an der HSE studiere (und ich merke, dass sich meine bisher 10 Monate Russischunterricht langsam lohnen). Und dann macht er auch noch ein Foto auf dem man mir die Genervtheit über russische Bürokratie wohl deutlich ansieht.

Am Ende habe ich die Chipkarte und stecke sie so in mein Portmonee das ich nicht jeden Tag mein grimmiges Gesicht sehen muss, wenn ich in die Uni will. Jetzt muss ich nur noch herausfinden, wie ich die Drehkreuze bediene, denn das funktioniert in jedem Unigebäude anders. Apropos Uni: Was die Bürokratie der Kurswahl an der HSE betrifft – über die werde ich wohl nochmal an anderer Stelle berichten.

Das erste Mal auf dem Roten Platz

Blick über den Roten Platz im Winter

Vor meinem Aufbruch nach Moskau habe ich oft darüber nachgedacht, wie es wohl sein wird, das erste Mal auf dem Roten Platz zu stehen. Einen Platz, den wohl jeder zumindest von Nachrichtenbildern kennt und der auch sinnbildhaft für Russland und seine Geschichte steht. Würde ich wohl Moskauer Nächte summen, während ich zwischen GUM und Kremlmauer entlangspaziere?, dachte ich. Nein, das ist mir dann doch zu kitschig.

Aber am Tag nach meiner Ankunft habe ich mich dann am Abend aus meinem Quartier hier im östlichen Bezirk Novogireevo in die Metro gesetzt und bin nach Kitai-Gorod gefahren. Von dort sind es zehn Minuten bis zum Roten Platz. Leichtes Schneegestöber und vielleicht -5 Grad, also für Moskau um diese Zeit fast angenehm. Und ein bisschen stieg schon die Anspannung als ich in der Ferne schließlich die Kremlmauer sah.

Und dann wendete ich mich nach links und sah auch schon die Basiliuskathedrale. Irgendwie wirkte sie kleiner als auf all den Bildern die man kennt. Alle Gebäude wirken kleiner bis auf den Platz selbst, der wirkt riesig. Als ich dann über das schwarze zugeschneite Pflaster spazierte, war das schon ein komisches Gefühl. Irgendwie ist der Rote Platz ein unheimlicher Ort: Links an der Kremlmauer ein Friedhof, rechts am Nobelkaufhaus GUM der traditionelle Weihnachtsmarkt, von dem Folklore-Schlager und bunte Lichter herüberwallten. Auf der Höhe des Lenin-Mausoleums befand sich der Eingang zur traditionellen Eisbahn, die immer im Winter dort ist. Und so ging ich durch den langen Schlauch der diese beiden Welten trennte – Nekropole an der Kremlmauer und den Weihnachtsmarkt und fühlte, das diese Trennung auch ein altes und neues Russland darstellt. Auf der einen Seite die menschenleeren sozialistischen Artefakte die von grimmigen Soldaten bewacht werden und rechts der bunte Kapitalismus. Irgendwie steht sich (vielleicht gerade zur Winterzeit) beides kontrastrierend am Roten Platz gegenüber.

Und damit steht der Rote Platz vielleicht auch sinnbildlich für die diffuse Mischung zwischen alten Artefakten und Moderne, die im heutigen Russland zu sehen ist. An vielen Gebäuden und in den Metrostationen in Moskau finden sich noch Hammer-und-Sichel-Symbole. Doch drumherum ist alles modern, clean und auch digital.

Warum Russland?

Der Flieger nach Moskau
Der Flieger nach Moskau

„Was? Du traust dich nach Moskau?“, schrieb ein Bekannter auf Facebook, nachdem ich dort eine Anzeige für die Untermiete meiner Berliner Wohnung eingestellt habe. Ja, viele haben sich gefragt, warum ich gerade in diesen politisch unruhigen Zeiten nach Russland gehe. Und auch ich habe mich vor meiner Abreise immer wieder gefragt, ob es wirklich klug ist. Doch ich habe mich schließlich dafür entscheiden.

Vor einem Jahr, kurz nachdem ich meinen Master in Osteuropastudien angefangen hatte, entschied ich, dass mein Erasmus-Semester 2019 in Poznań nicht genug war und ich noch ein zweites Auslandssemester machen will. Und auch wenn unser Institut Partnerschaften mit Unis in der Ukraine, den Südkaukasus-Staaten oder Zentralasien hat, war für mich schnell klar, dass ich nach Russland will. Denn meiner Meinung nach ist Russland für den ganzen osteuropäischen Raum entscheidend. Wer die aktuellen Entwicklungen in der Ukraine, in Kasachstan, in Belarus oder anderen osteuropäischen Ländern verstehen will, muss sich mit Russland auseinandersetzen.

Mit Russland meine ich dabei explizit nicht nur die russische Regierung und ihre Politik – wie ich dazu stehe, dürfte vielen klar sein. Nein, es geht auch um die Menschen vor Ort. Ihre Geschichten, ihre Erfahrungen, ihr Alltag. Sie dürfen nicht mit der Politik ihrer Regierung gleichgesetzt werden. Ich habe viele Menschen mit russischen Familienhintergrund in meinem Bekanntenkreis, die es Leid sind, dass ihr Heimatland oft nur in bestimmten Schemata dargestellt wird. Denn Russland und seine Menschen sind mehr, als viele denken. (Und das meine ich, ohne in unkritische Klischeebilder verfallen zu wollen).

Natürlich kann ich verstehen, wenn Einzelne persönliche Bedenken haben, gerade nach Russland zu reisen. Am Ende muss so etwas jeder für sich entscheiden. Doch ich habe mich bewusst dafür entschieden, gerade auch in diesen schwierigen Zeiten nach Russland zu gehen und das Land und seine Menschen kennenzulernen. Meine Erfahrungen und Erlebnisse in den kommenden sechs Monaten will ich hier auf diesem Blog so gut es geht dokumentieren.

Die Betonung liegt dabei auf „so gut es geht“, denn da ich nur mit einem Studi-Visum im Land bin und nicht als akkreditierter Journalist muss ich mich mit vielen Äußerungen zur aktuellen Politik zurückhalten. Entsprechend wird es hier keine Berichte von regierungskritischen Demos oder Interviews mit Oppositionellen geben und auch bestimmte andere Geschichten werde ich nur in kleinem Kreis erzählen, wenn ich wieder in Berlin bin. Schließlich möchte ich gerne die ganzen sechs Monate im Land bleiben und danach auch wieder kommen können.

Ansonsten wird es hier aber sicher viele Anekdoten aus dem Moskauer Alltag und dem Unileben an der Higher School of Economics und auch meinen Reisen durch das Land geben. In diesem Sinne: Давай и Поехали!